Konstruieren als Kulturtechnik
Dipl. Ing. Manuela Gantner, FG Architekturtheorie
montags, 14.00 – 16.15 Uhr
Raum N.N.
manuela gantner ∂ kit edu
Ob Stuttgarter, Braunschweiger, Solothurner oder Grazer Schule – das Label „Architekturschule“ galt lange als identitätsstiftendes Markenzeichen. In Karlsruhe wird dieser Ordnungsbegriff nach der Weinbrenner-Schule des Klassizismus nicht mehr verwendet. Grundlegend für das hier vorgestellte Forschungsformat ist die These, dass sich in der 2. Hälfte des
20. Jahrhunderts in der Karlsruher Architekturausbildung ausgehend von Egon Eiermann ein spezifisches Karlsruher Modell mit internationaler Strahlkraft entwickelte, das sich – etwa im Antagonismus zur Stuttgarter Schule – durch sein auf Konstruktion, Detail und Funktion fokussiertes „technisches Denken“ definierte.
Welche Akteure prägten aber in ihrer Vorbildfunktion dieses Ausbildungsmodell, welche Lehrformate und Strategien schärften sein Profil, welche Rolle spielte Karlsruhe in der Architekturlehre im Wiederaufbaus der Nachkriegszeit?
Architektur und Ingenieurwissenschaften sind eine der wertvollsten kulturellen Wissensformen der Gesellschaft. Als heterogene Querschnittsdisziplinen integrieren sie wissenschaftliche, technische, soziale und kulturelle Prozesse und entfalten häufig erst an den Schnittstellen zu anderen Diskursen ihre konzeptionelle Deutungskraft und intellektuelle Lebendigkeit. Unter der Annahme, dass sich das Wissen der Architektur in die Verwendung bestimmter Medien und Kulturtechniken wie Schrift, Zeichnung, Diagramm und Modelle einschreibt, soll im Forschungsprojekt Das Karlsruher Modell. Wissensordnungen in der Karlsruher Architekturausbildung der Nachkriegszeit die architektonische Entwurfspraxis in ihrer historischen Entwicklung und in ihren kultur- und erkenntnistheoretischen Grundlagen als Untersuchungsgegenstand herangezogen werden.
In Case Studies anhand der Nachlässe von Egon Eiermann (1904–1970) im SS 2017, bzw. Rolf Lederbogen (1928–2012) im WS 2017/18 gilt der Blick dem Konstruieren als Kulturtechnik und als Kunstfertigkeit, um den technischen Geist, das Denken in Strukturen und die Präzision, die den Karlsruher Architekturstudenten vermittelt wurden, aufzuspüren, das Spezifische des Karlsruher Modells zu extrahieren und die Relevanz für das künftige Architekturverständnis zu stärken.
Egon Eiermann – als Aushängeschild der Karlsruher Architekturausbildung der Nachkriegsmoderne – verhalf durch sein internationales Renommee als wegweisender Architekt des Wiederaufbaus der Karlsruher Hochschule zu Glanz und prägte die Ausbildung über zwei Jahrzehnte und darüber hinaus durch seinen konstruktiven Funktionalismus und eine Fortführung der Moderne. Selbst der „konstruktive Entwurf“, der als konzeptueller Schwerpunkt im Vordiplom bis in die Nullerjahre praktiziert wurde, hatte seine Wurzeln in Eiermanns programmatisch sehr überschaubaren, dafür bis ins Detail durchzuplanenden Entwurfsaufgaben.
Ein Karlsruher Modell wäre aber nicht möglich ohne ein Denkkollektiv, das seine Wurzeln in Karlsruhe vor Eiermanns Zeit hatte. Schon seine Berufung an die Technische Hochschule Karlsruhe 1946 war kein Zufall und fußte auf der Hoffnung Otto Ernst Schweizers, die Karlsruher Architekturausbildung mit Eiermann zu neuer Blüte zu führen. Eiermann kam diese klare Linie, die in Karlsruhe mit Otto Haupt, Heinrich Müller und Otto Ernst Schweizer praktiziert wurde, entgegen und ihm bot sich mit einem anstehenden Generationenwechsel in der Professorenschaft in den 60er-Jahren die Möglichkeit, die Richtung der Ausbildung mitzugestalten. Mit Rudolf Büchner in der Baukonstruktion, Wolfgang Bley im Elementbau, Fritz Haller in der industriellen Bauproduktion und Rolf Lederbogen in den Grundlagen der Architektur konnte der Kurs der Ausbildung im Sinne des Funktionalismus und einer Kontinuität in der Moderne fortgesetzt und geschärft werden.
Lederbogen, den Egon Eiermann im Rahmen der Arbeiten am Deutschen Pavillon zur Weltausstellung 1958 in Brüssel kennen und schätzen gelernt hatte, etablierte in Karlsruhe eine der damaligen Zeit angepasste Fortführung der Bauhauspädagogik in der Grundlagenlehre und zeigte in seiner Arbeit in der 2. Hälfte des 20 Jahrhunderts klare Tendenzen zur konkreten Kunst und zur Tradition des Konstruktivismus. Als Enkel der Bauhausgeneration und Schüler der Werkakademie Kassel war Lederbogen geprägt von der Bauhauspädagogik und der dort praktizierten Grundlehre. Er sah sich in Karlsruhe mit dem Vorwurf konfrontiert, Gestaltungsgrundlehre sei unzeitgemäß und ein billiger Abklatsch der eigentlichen Bauhausidee. Viele Züge seiner Arbeit, wie die künstlerisch- bzw. in diesem Fall architektonisch/handwerkliche Doppelausbildung in den Werkstätten für Holz, Metall und Keramik, lassen Ähnlichkeiten mit Ittens Vorkurs erahnen. Der elementare Unterschied lag aber in Lederbogens klarem Fokus auf der Architektur. Für ihn stand die Ausbildung zum Architekten an erster Stelle – und dies als Synthese von Gestaltung, Konstruktion, Statik und Geschichte, immer mit dem gemeinsamen Ziel des komplexen Entwerfens.
Sein Einfluss und sein Arbeiten soll im Wintersemester näher beleuchtet werden.